Eine Motorradtour durch das Land der Karpaten
Noch hat der Massentourismus Rumänien nicht für sich entdeckt, doch unter Motorradfahrern gilt das zwischen Ungarn und dem Schwarzen Meer gelegene Karpatenland bereits seit Jahren als Geheimtipp und echtes Motorradparadies.
Obwohl, oder vielleicht gerade weil Rumänien dennoch mit vielen Vorurteilen zu kämpfen hat, machen wir uns auf, um das Land auf unseren Motorrädern zu erkunden und uns selbst ein Bild über „Draculas Heimat“ zu machen.
Dieser Reisebericht erschien in der Ausgabe Dezember 2018 des Tourenfahrer Magazins. Wenn du dich fürs Motorradreisen in Europa und der Welt sowie Tests & Technik interessierst, dann können wir dir das Magazin nur wärmstens empfehlen!
Wir sind nur gut 800 km gefahren, als wir die Grenze vom östlichen Ungarn nach Rumänien überqueren. Dank der EU sind die Grenzformalitäten binnen weniger Minuten erledigt und schon stehen wir das erste Mal auf rumänischem Boden.
Keine zwei Tagesfahrten von Deutschland entfernt und doch fühlen wir uns, als hätten wir auf dieser Strecke eine Zeitreise um mindestens 20, 30 Jahren in die Vergangenheit gemacht.
Gleich auf den ersten Kilometern begrüßt uns Rumänien mit einfachen kleinen Dörfern, mit Pferdefuhrwerken statt LKWs und mit Bauern, die ihre weitläufigen Felder noch in mühevoller Handarbeit anstelle von Hightech Maschinen bestellen.
Auf kleinen Nebenstraßen, die in weiten Teilen viel besser sind als ihr Ruf, fahren wir hinauf in den Norden bis an die rumänisch-ukrainische Grenz, wo wir einige Kilometer weit dem Grenzfluss Theiß folgen, bevor wir in das kleine Dörfchen Sapanta im Kreis Maramureș abbiegen.
Die Region Maramureș ist zum einen berühmt für die vielen imposanten, mit kunstvollen Schnitzereien versehenen Holztore, die die Einfahrt vieler Gehöften zieren, aber vor allem ist sie bekannt für ihre mehr als 40 Holzkirchen, von denen sogar 8 den Status UNESCO Weltkulturerbe besitzen.
Der „fröhliche Friedhof“ von Sapanta
Auch wenn die Kirche von Sapanta nicht zum Weltkulturerbe zählt, so lohnt sich ein Besuch der Kirche, oder vielmehr des umliegenden Friedhofs, allemal, denn der „fröhliche Friedhof“ von Sapanta ist bis weit über die Dorfgrenzen hinaus bekannt.
Normalerweise sind Friedhöfe eher eine Ort der Trauer und der gedeckten Farben, doch nicht so der Friedhof von Sapanta!
800 bunt bemalte Holzkreuze stehen hier, deren Bilder, Schnitzereien und Verse über das Leben und den Tod der Verstorbenen erzählen. Auf einigen sind die Berufe der Dorfbewohner dargestellt, auf
anderen die Todesursache – vom Autounfall bis zum Tod durch zu hohen Schnapskonsum.
Ein lokaler Künstler fertigt die bunten Kunstwerke, für die die Dorfbewohner oft Jahrelang sparen, als Auftragsarbeiten an. Außerdem versieht er sie mit Bildern und
Texten die darstellen, wie er und die Dorfgemeinschaft die Menschen erlebt haben – was nicht immer schmeichelhaft für die Verstorbenen endet!
Kurzum, der „fröhliche Friedhof“ ist ein Ort, an dem dem Tod mit viel Humor begegnet wird und es macht sehr viel Spaß durch die Reihen aus bunten Holzkreuzen zu
schlendern und auf Entdeckungsreise durch die vielen lustigen, interessanten und manchmal auch makaberen Lebensgeschichten zu gehen, die dort verewigt sind.
Unser weiterer Weg durch den Norden Rumäniens führt uns noch an einigen weiteren, wunderschönen Holzkirchen vorbei. Allesamt verfügen über ein massives hölzernes Kirchenschiff, einen spitzen Glockenturm, sind mit Holzschindeln gedeckt und ihre Innenwände und Decken sind über und über mit bunten Fresken bemalt, die Heilige oder Szenen des Alten Testaments zeigen.
Wir sind mittlerweile schon einige Tage in Rumänien unterwegs und fühlen uns in diesem noch relativ ursprünglichen Land mit seinen unglaublich herzlichen und hilfsbereiten Menschen bereits jetzt sehr wohl.
Gerade auf abgelegenen, wenig befahrenen Landstraßen sind unsere Motorräder ein echter Blickfang, denn auch wenn Rumänien unter Motorradfahrern in den letzten Jahren immer mehr an Beliebtheit gewinnt, gerade abseits der bekannten Strecken sind größere Motorräder auch heute noch eine Seltenheit. So folgen uns oft die erstaunten Blicke sowohl der Erwachsenen, wie auch der Kinder, wenn wir durch die Dörfer fahren. Die Menschen – egal ob jung oder alt – winken uns freundlich zu und viele der Kinder deuten uns wild gestikulierend, wir sollen doch mal ordentlich Gas geben oder kommen gar angelaufen, damit wir ihnen ein „High Five“ geben. Was für ein Spaß!
Ganz spontan bekommen wir sogar die Einladung der Würstel-Produktion in einem kleinen Landgasthof, in dem wir zu Mittag eingekehrt waren, aus nächster Nähe beizuwohnen. Wir staunen nicht schlecht, mit welch einer Handfertigkeit und Geschwindigkeit die Küchenmannschaft die Würste fertigt und Helmut kommt sogar in den genuss eine der ganz frisch hergestellten Würste zu verkosten. Einfach lecker!
Neben seiner einzigartigen sakralen Architektur hat der Norden Rumäniens aber auch weitläufige Wälder und fast menschenleere Bergregionen zu bieten, denn die Ostkarpaten verlaufen von der Ukraine her kommend quer durch die Region.
Auch wir wollen die nordrumänische Bergregion erkunden und entschließen uns, bei Borsa von der Landstraße abzubiegen und hinein in die Berge zu fahren. Bevor es ins Gelände geht, lassen wir noch etwas Luft aus den Reifen, denn mit abgesenktem Luftdruck lassen sich Geländepassagen deutlich angenehmer fahren. Eine kleine Schotterstrecke führt uns zunächst für einige Kilometer an einer mehr oder weniger verlassenen Miene vorbei. Viele der riesigen Gebäude sind bereits halb verfallen, die Fensterscheiben fehlen und auf den Dächern wachsen Büsche und kleine Bäume. Die Kulisse erinnert uns ein wenig an einen Endzeitfilm, doch das kleine Arbeiterdorf, das sich direkt an die Industrieanlagen anschließt, scheint noch immer bewohnt.
Bald lassen wir aber auch die letzten Zeichen der Zivilisation hinter uns und folgen einem mehr oder weniger ausgewaschenen Forstweg immer weiter in die Wälder hinein. Zeitweise fließt der Bach dem wir folgen über den Weg hinweg und verwandelt die Strecke in eine Art Flussbett mit größeren Steinen und Auswaschungen, was die Fahrt zu einer durchaus herausfordernden und schweißtreibenden Angelegenheit werden lässt.
Als wir eine kurze Pause einlegen und uns mit Müsliriegeln für die weitere Fahrt stärken nutzen wir das eiskalte, glasklare Gebirgswasser des Baches um unsere erhitzten Gesichter zu kühlen. Was für eine Wohltat!
Frisch gestärkt machen wir uns auf den weiteren Weg und erreichen nach einigen weiteren Kilometern den Kamm des Berges. Der dichte Wald, der unsere Sicht bisher sehr eingeschränkt hat, wird immer lichter und gibt schließlich den Blick frei auf eine weitläufige, leuchtend grüne Berglandschaft.
Das Abenteuer beginnt, wo Pläne enden
Doch unsere Freude über den fantastischen Ausblick wehrt nicht lange, denn der Abzweigung, der wir laut des Offroad Führers, den wir mit im Gepäck haben, folgen sollen, entpuppt sich als sehr steil und so ausgewaschen, dass sie mit unseren bepackten Reiseenduros fast nicht zu fahren ist.
Zwischenzeitlich hat auch noch Regen eingesetzt, der den Untergrund zusätzlich rutschig macht und so ist es für uns fast unmöglich, der Strecke weiter zu folgen und so drehen wir um und fahren zurück zur Bergkuppe, von wo noch zwei weitere Wege abzweigen.
Doch keiner der Wege ist auf unserer Karte, geschweige denn in unserem Navigationsgerät, eingezeichnet und so wissen wir nicht, welchem Weg wir folgen sollen? Auf gut Glück und ohne Plan immer tiefer in die kaum besiedelten Ostkarpaten hinein zu fahren und uns im schlimmsten Fall heillos zu verfahren ist kein guter Plan, schon gar nicht, da bereits die nächste Gewitterfront hinter den Bergen aufzieht!
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Doch wie so oft auf unseren Motorradreisen sind es auch diesmal die Einheimischen, die uns helfen, die Situation zu meistern. Denn wie aus dem Nichts taucht plötzlich ein kleiner Jeep auf, in dem drei rumänische Waldarbeiter sitzen. Sofort nutzen wir die Gelegenheit und fragen die drei Männer nach dem Weg in den nächsten Ort. Da wir nur wenige Brocken Rumänisch sprechen und die Männer weder Deutsch noch Englisch verstehen, verständigen wir uns mit Händen und Füßen und nehmen unsere Karte zur Hilfe. Schnell verstehen die Drei, was wir wollen und zeigen uns mit ihren Händen und auf imaginären Linien auf unserer Karte, welche Strecke wir nehmen sollen. Zum Abschied bekommen wir dann ungeachtet der Uhrzeit – es ist erst mittags! – einen ordentlichen Schluck Pálinka, einen sehr starken Obstbrand, angeboten und schon kann unsere Fahrt weiter gehen!
Ein heftiges Gewitter mit Blitz, Donner und Hagel geht direkt über uns nieder
Im weiteren Verlauf windet sich die nun gut zu fahrende Schotterstrecke an Berghängen mit bunten Blumen entlang und führt durch abgeschiedene, einsame Täler mit satten, grünen Wiesen. Wir überlegen schon, ob wir unser Zelt auf einer Wiese direkt neben einem kleinen Bach aufschlagen sollen, doch leider zieht am Nachmittag erneut eine dunkle Regenfront auf. Diesmal entlädt sie sich allerdings in so heftigen Gewittern mit Blitz, Donner und Hagel, dass an weiter fahren nicht zu denken ist und wir schnellstmöglich einen Unterschlupf finden müssen!
Ein bunt bemalter Bienen-LKW bietet den weit und breit einzigen Unterstand. Kurzentschlossen parken wir unsere Motorräder am Wegesrand, hüpfen von den Bikes und laufen so schnell uns unsere Füße tragen zu dem LKW, als plötzlich ein älterer Herr eine Tür im Anhänger, die wir zuerst gar nicht bemerkt hatten, aufreißt und uns herein winkt.
Das lassen wir uns natürlich nicht zweimal sagen und plötzlich stehen wir mitten im winzigen Wohnbereich eines älteren rumänischen Ehepaares, die in dem Bienenwaagen leben und die Bienenstöcke betreuen!
Rumänische Gastfreundschaft, die von Herzen kommt
Wir bekommen Handtücher gereicht, um unsere tropfnassen Gesichter abzutrocknen und während wir gerade erst dabei sind zu begreifen, wie uns geschieht, halten wir auch schon zwei Tassen heiß dampfenden Tees mit Honig in Händen. Einfach unglaublich!
Während der Hagel laut auf das Metalldach und gegen die Wände des Bienenwaagens prasselt lernen wir also Gheorghe und Ileana – so heißen die beiden – kennen und verstehen uns trotz Sprachbarriere auf Anhieb prima mit den beiden. Über eine Stunde verbringen wir in dem kleinen Raum mit den beiden, lachen, trinken – mal wieder – ein kleines Gläschen Pálinka und sind einfach hin und weg von der offenen, herzlichen Art und unglaublichen Gastfreundschaft der beiden.
Als Hagel und Regen endlich nachlassen begleitet uns Gheorghe mit nach draußen zu unseren Motorrädern, wo der alte Mann unglaublich flink und behände auf Helmuts Motorrad steigt, um sich für ein Abschiedsbild in Pose zu werfen.
Als wir abfahren ruft er uns noch ein „Drum bun!“, was so viel wie „guter Weg“, oder „gute Fahrt“ bedeutet, hinterher, während er, Ileana und der Bienenwaagen in unseren Spiegeln immer kleiner und kleiner werden und schließlich ganz verschwinden.
Völlig erschöpft und durchnässt von diesem unerwarteten Abenteuer suchen wir uns am Abend ein trockenes, kuscheliges Plätzchen in Form einer kleinen Holzhütte. Binnen Minuten hängen an jeder freien Stelle nasse Socken, triefendes Motorradgewand und feuchte Tankrucksäcke und verwandeln unsere kleine Unterkunft in eine Trockenkammer.
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